von Richard Wagner – Premiere – Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen.
Vor der Oper habe ich zunächst wieder einmal eine nachmittägliche Begegnung mit dem Leben der Anderen in der S-Bahn nach Gelsenkirchen. Diesesmal habe ich kaum etwas von den Gesprächen um mich herum mitbekommen, da ich die Sprachen nicht verstanden habe. Als ein Mann mit qualmender Zigarette und Bierdose einsteigt, traut sich niemand etwas zu sagen. Er hat ein „really scary scarface“, vernarbt, wie mit dem Messer mehrfach darin rauf und runtergeschnitten. Er schaut die beiden Herren, die vor mir sitzen, intensiv an und geht dann aber, als die nicht reagieren, durch den Zug durch bis ans Ende in die 1. Klasse. Nach vielen Zugstillständen empfängt mich in Gelsenkirchen am Bahnhof dann eine Welt, aus der sich der deutsche Otto-Normal-Bürger (zu dem ich mich auch irgendwie zähle) anscheinend verabschiedet hat. Je näher ich dem Theater komme, desto menschenleerer wird es und vor dem Theater sind dann einige Opernbesucher vom Silbersee.
Das MiR – war das nicht eine russische Raumstation? – nennt sich das schönste Theater im Revier. Nun, die Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters. Das blaue Relief von Yves Klein und andere Kunst am Bau sind sicherlich sehenswert, aber mich interessiert vor allem das Innere, der Zuschauerraum. Man quält sich ja, um hineinzugelangen, schleusenartig durch zwei schmale Schwingtüren, die nicht feststehen bleiben wollen. Der Sitzplatz will auch musikalisch sein und gibt bei jeder kleinen Regung von mir deutliche Geräusche von sich. Das brauche ich nicht, aber nun sitze ich dort eben. Unmittelbar nach den ersten Takten des Vorspiels tritt noch ein älterer Herr ein. Nachdem er sich geräuschvoll durch die Schwingtüren gekämpft hat, tastet er sich vor und sucht Halt am Geländer, das er aber in der Dunkelheit nicht findet. Meine Aufmerksamkeit ist jetzt restlos bei ihm. Gleich könnte er die Treppe hinunterfallen. Er tapst vorwärts, ertastet endlich das Geländer, was sich schon durch laute metallische Geräusche als sehr wackelig und unsicher entpuppt. Der Mann bleibt jetzt stehen und ich habe das Vergnügen dieses Damoklesschwert nun über mir haben. Zu Beginn der ersten Szene wankt er unsicheren, aber hörbaren Schrittes die steile Treppe hinunter und sinkt ungeschickt in den noch freien Randplatz vor mir. Der knarrt und knackt ebenfalls stark zur Freude der benachbarten Zuschauer. So, kann es jetzt losgehen? Die Bühne ist horizontal geteilt und hat ein Ober- und ein Unterdeck. Im Unterdeck sind Isolde (Catherine Foster) und Brangäne (Almuth Herbst), auf Deck die Männer. Nochmal zurück zum MiR: Die Akustik finde ich eher suboptimal. Höhen und Bässe sind unausgewogen, es entsteht mir zuwenig Raumklang, es gibt zu wenig Resonanz. Zurück zur Bühne: Es wird viel gestanden.
Im zweiten Akt wird aus dem Stehen ein Drehen. Die Drehbühne dreht sich nahezu ununterbrochen bei den mittleren Szenen, so dass ein immerwährendes Durchschreiten der unterschiedlichen Räume stattfindet. Was soll das Kinderzimmer mit zwei Kindern, die im Verlauf spielen? Tristan (Torsten Kerl), im ersten Akt noch recht zurückhaltend, gewinnt stimmlich an Fahrt. Isolde und auch Brangäne waren von Anfang an stimmlich voll auf der Höhe. In einem Glaskasten sieht man ein junges kopulierendes Paar. Selbstverständlich in Unterwäsche – da hat man auch schon mal mehr nacktes Fleisch gesehen, in anderen Produktionen in Berlin z.B.: Komische Oper … Aber ohne Visualisierung ist es mir dann doch lieber, ich hab ja auch noch ein bisschen Phantasie zur Musik … – Das sollen also Tristan und Isolde in jung und schlank sein, die gerade das tun, was die Musik suggeriert. Denn die eigentlichen Darsteller haben ja jetzt auch gar keine Zeit für so etwas, sind wahrscheinlich auch gymnastisch nicht so fit. Das Kamasutra lässt sich schwerlich mit hochdramatischem Wagner-Gesang verknüpfen.
Im dritten Akt wird – naturgemäß – viel gelegen und auch gesessen. Irgendwann öffnet sich der immerwieder seitlich verschiebende Vorhang und der nun freie Blick fällt auf eine schwarze Stele in der Mitte. War die nicht aus 2001 – Odyssee im Weltraum? Wie auch immer, am Ende zieht es sich, bis man/frau dann endlich tot ist. Frau scheint aber nicht tot zu sein am Ende. Stimmlich hat sich Tristan noch etwas mehr entwickelt, Isolde ist beim Liebestod schon etwas zurückgenommen – absichtlich oder verausgabt, egal, Catherine Foster war eine Wucht! Das kuriose Gemetzel kurz vorher, brauche ich so auch nicht. Diese Inszenierung, denke ich, hat mir im MiR keine neuen Dimensionen eröffnet.